Es gibt ein richtiges Kleben im Falschen

Während unsere Gesellschaft immer tiefer in die Klimakatastrophe steuert, gehen uns ein paar junge Menschen gehörig auf die Nerven. Sie zwingen uns, innezuhalten und zu fragen: Wann tun wir endlich genug?

 

Ein Spiegel-Gastbeitrag des Peng!-Kollektivs

 

Es sind diese Momente, auf die man später zurückschaut und bei denen alle sagen: Es hat sich doch abgezeichnet, dass das kommen würde. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die multiplen Krisen, die Proteste: Na klar musste es zum großen Umdenken kommen. Aus der Retrospektive ist jede große gesellschaftliche Umwälzung »ganz logisch«, sei es die deutsche Wende oder der arabische Frühling. Aber auch dort waren es lange Zeit nur wenige, die daran glaubten, die aktiv daran arbeiteten.

So ist es auch jetzt. Vielen ist klar, dass wir auf Grund steuern. Doch sie sind im Alltag eingespannt, es gibt kaum Zeit, sie schauen weg. Weil Ruhe, Mut und Kraft fehlen, ruhen sie sich aus, klicken Amazon, klicken Urlaubsflug. Sie wissen, dass das nicht reichen wird. Wer sich nicht ertappt fühlt, werfe die erste Lithium-Batterie.

Doch der Wind dreht sich langsam. Es werden immer mehr, die Verständnis für die Early Adopters der Letzten Generation haben. Auf Parties, in Kommentaren, der Applaus wird lauter. Im Livestream ihrer Flug-Blockade hörten wir den Sicherheitsmann sagen »Ich hab doch selbst zwei Kinder, aber was soll ich denn machen?« Das Wissen ist da, die Strategien nicht.

Doch dann gibt es auch die, die alle einsperren lassen wollen. Sie jaulen, sie schimpfen, sie stöhnen. Es gebe unternehmerische Lösungen, sagt die Wirtschaft. Wir können den Status Quo erhalten, sagt die Politik. Es ist lächerlich, sagt der Stolz.

Es ist was es ist,
sagen sie vielleicht,
wenn sich ihr eigenes Kind
an den BMW-Massage-Sitz klebt.

Sie lassen sich nicht umarmen.

Was der Aufstand der Letzten Generation gerade macht, ist genial. Je mehr sie stören, desto mehr fühlen wir uns ertappt. Die erste Reaktion war Abwehr, damit wir weiter verdrängen können. Und bei jeder Aktion stieg die Empörung. Jetzt sind sie da. Kartoffelbrei. Auto im Stau. Licht an. Musik aus. Wir müssen reden: Die Aktionen zwingen uns zu einer Reaktion.

Ihre Interventionen lassen sich nicht einhegen und mit Schulterklopfen ignorieren. Sie lassen sich nicht umarmen und beiseiteschieben. Sie reiben uns so lange mit dem Ernst der Lage ein, bis wir ihn verstanden haben. Die Letzte Generation will nicht geliebt werden, sie will uns rütteln und schütteln bis nicht anders geht, als sich der Realität zu stellen.

Sie verschmelzen ihre Körper mit den Pflastersteinen, anstatt sie nach uns zu schmeißen. Sie beziehen sich auf Verfassung und Stand der Forschung, anstatt mit dem System zu brechen. Sie setzen also die volle Härte des Rechtsstaats und der Wissenschaft ein, entgegen der Ideologie der Politik. Und am Ende zwingen sie uns zur Empathie: wir müssen uns bücken, nach Lösemittel zu suchen. Innehalten, egal was wir gerade tun.

Sie werden nicht aufhören, egal wie übel die Verleumdungen, egal wie hoch die Strafen. Sie zwingen uns zu fragen: Was genau tust du, um diese ständig steigenden Emissionen zu stoppen?

Bis die Angestellte
im Finanzministerium
sich eines Tages fragt,
ob sie die internen Geheimpapiere,
die unlauteren Vereinbarungen
mit der fossilen Wirtschaft
an 30 Redaktionen schickt.

Sie geben ihrem Leben eine Bedeutung.

Das bisschen Kleber, das bisschen Farbe in einem Feuerlöscher, vielleicht irgendwann auch ein bisschen Bungeejumping in den Bundestagsplenarsaal, das gibt unserer Welt wieder Sinn. Es gibt Bedeutung, macht Spaß und ist ein garantiertes Abenteuer. Der Aufstand hat eine der wohl coolsten Antworten im Angebot, wenn es in 20 Jahren heißt: Wo warst DU als wir die Zivilisation vor dem Kollaps gerettet haben?

Ich war bei Mercedes und
habe über Nacht
die Sicherungen aufgegessen.

Ich drückte
den Feueralarm
im Springerverlag.

Ich war Kanzler
ja sogar Klimakanzler
und rief den Notfall aus.

Das macht ihre Aktionen so schön. Sie zeigen, was es heißt, nicht korrumpierbar zu sein, ohne doppelten Boden. Sie sind völlig ausgeliefert – der Strafverfolgung und dem öffentlichen Hass. Das ist ein krasser Gegensatz zu der von Lobbyismus und Machterhalt geformten Verschleppung in der professionellen Politik. Performativ ist es die Verkörperung der regierten Subjekte: Als wenn die Bürger bei Kafka, mit einer eigenen Botschaft, verzweifelt den Kaiser suchten, der sich in der Architektur der Herrschaft aufgelöst hat.

Sie zwingen uns, die Realität anzuerkennen.

Dabei sind sie nicht elitär, alle können mitmachen. Jederzeit, überall. Es ist so lustig, wie sie autoritäre Charakter auf die Palme bringen – Friedrich Merz, Alexander Dobrindt, Omid Nouripour oder Nancy Faeser. Wie in der Philharmonie alle »Oooh Neeein« rufen, wenn sie ihren geliebten Beethoven hören wollen, aber da wieder jemand am Notenständer klebt. Die Letzte Generation kann man nicht umarmen, wie eine bunte Schüler:innen-Demo. Man kann ihnen nicht für ihr Engagement danken und dann einfach weitermachen.

Man kann
sich festkleben
ans Pult
im Bundestag.

Die Letzte Generation zwingt uns, unsere verdrängte Fantasie einer verstörenden Zukunft hervorzuholen. Sie beißt uns in die Hand, die sich im Lenkrad eines »Weiter so« festkrallt. Sie fordern einen Strukturwandel, aber auch Kleinigkeiten, die eine Mehrheit bereits gefordert hat, wie 9-Euro-Ticket und Tempolimit. Demokratische Trippelschritte. Und wieder fühlen sich alle ertappt, die sagen, es würde reichen.

Die Frage der Letzten Generation ist metaphorisch und konkret zugleich: Wenn du nicht klebst, was tust du dann? Was tust du, damit wir genug tun?

 

Foto von Lina Eichler, (CC BY 2.0 Lizenz)